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18.02.2010 Deutsche Literaturszene ...... xte Folge .....

„Ihr Roman 'Axolotl Roadkill' dokumentiert weit über Plagiatsfragen hinaus die Verkommenheit des Betriebs, der sie feiert.“
Nein, das ist kein Text von Kritikus, sondern war vor wenigen Tagen dem Feuilleton der rund um den Erdball wohl renommiertesten deutschen Tageszeitung zu entnehmen und kommt im Grunde einer Bankerotterklärung zumindest großer Bereiche der deutschen Buchszene gleich.

Was ist geschehen? Helene Hegemann hat, wie sich nun herausstellt, ihren hochgejubelten Adoleszenz-Roman in weiten Teilen abgeschrieben. Aus Internet-Blogs, aus Foren und ganz besonders aus dem vorher kaum bekannten Buch eines gewissen "Airen", der darin über sein eigenes Leben plaudert, das sich vornehmlich im Berliner Drogen-, Sex- und Aussteiger-Milieu bewegt. Inzwischen will er den Weg zurück in das bürgerliche Lager gefunden haben. Höchst peinlich daran ist, daß Hegemann nur einen Teil ihrer Abkupferei von vorneherein preisgab; der Rest, und der nimmt immer größere Formen an, blieb unerwähnt, bahnt sich nun so nach und nach den Weg ans Licht. Dabei darf dann auch schon mal ein bißchen gelogen werden. Hegemann gab vor, das fragliche Buch („Strobo“) des unter dem Pseudonym „Airen“ publizierenden Autors nicht zu kennen. Zu dumm aber auch, daß inzwischen Nachforschungen den Beweis lieferten, daß ihr Vater, Carl Hegemann, das Buch bereits am 28. August 2009 bei „amazon“ bestellte und an seine Tochter ausliefern ließ.

Nun sind ja Abrechnungen der Nachkommen mit ihren Vorderleuten nicht unbedingt originell, auch ausgedehnte Selbstreflexionen über das Übel des Erwachsenwerdens und die Welt im allgemeinen reißen kaum von den Stühlen, da selbiges gewiß schon hunderttausendfach zelebriert und lesbar gemacht wurde, seitdem es den Buchdruck gibt. Das große Medieninteresse, das sogleich nach dem Erscheinen des Hegemann-Buches hochkochte, könnte wohl seine eigenen, ganz besonderen Gründe haben. Hilfreich bei der Ursachenforschung wäre beispielsweise ein Blick auf den Vater. Dr. Carl Hegemann, viele Jahre Chefdramaturg an der Berliner Volksbühne, in der Auslegung anderer Leute Urheberrechte durchaus großzügig und deftig ordinärem Bühnenvokabular und –zauber zugetan, lehrt an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, wohnt in Berlin. Man liegt wohl nicht so ganz falsch in der Annahme, daß er im Berliner Kulturbetrieb ein ziemlich bekanntes Gesicht ist. Zufällig residiert dort auch der Ullstein-Verlag, der das Buch seiner Tochter mit so viel Verve nun auf den Markt warf. Sehr rasch mußte das gehen, so rechtzeitig, daß es vor der Leipziger Buchmesse gedruckt werden konnte. Bekanntlich gelang dies dann auch. Von selbst versteht sich in diesem Kontext auch, daß das Buch vom Verlag für den „Preis der Leipziger Buchmesse“ vorgeschlagen wurde. Und – welch Wunder! – aus den 760 eingereichten Belletristik-Titeln wählte die preisverteilende Jury neben vier anderen Büchern auch das Buch der Hegemann-Tochter für eine Art "Short-List" aus. Angeblich wußten die Juroren – wer bestimmt sie eigentlich? – von der Kopierarbeit der Jungautorin bei ihrer Vorauswahl noch nichts. Zurückgezogen wurde der Titel nach dem Auffliegen der unsäglichen Schummeleien natürlich nicht. Juroren irren nicht. Vielleicht verfügen sie aber noch über soviel Selbstachtung, daß sie das Machwerk nicht auch noch zum Siegerbuch küren. Doch da ist Kritikus sich nicht sicher. Bei Kindern kennt man den „Jetzt-erst-recht-Trotz“. In der Jury sitzen keine Kinder? Kritikus läßt sich überraschen.

Helene Hegemanns phasenweise unerträglich altklugen Deutungs- und Erklärungsversuche der Dinge in bewußtem Band, so mutmaßen nicht wenige Beobachter des Schauspiels, könnten wohl kaum nur aus der eigenen Feder stammen. Mit siebzehn Jahren brachte sie das Buch heraus, schrieb es sicher auch nicht in zwei Wochen, ihre Protagonistin zählt gar nur sechzehn Lenze. Mehr oder weniger offen wird über unterstützendes Zuarbeiten des schriftstellernden Herrn Vaters spekuliert. Und die des Lektorats und anderer freundlicher Geister.

Vielleicht ist Vater Hegemann bislang entgangen, daß seine Tochter in der Gestalt ihrer Kunstfigur Mifti in großem Stil mit den Verhältnissen um sie herum abrechnen läßt, in denen vornehmlich ziel- und hirnlos kopuliert, gekifft, getrunken und herumgehangen wird und die große Leere herrscht, was das Leben an sich betrifft.
Nimmt man ihr zumindest diese Botschaft ab, die sie wohl unter die Menschen zu bringen beabsichtigt, dann rechnet sie nach der Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung in allererster Linie mit den eigenen Eltern ab.

Von Maxim Biller – und anderen Mainstream-Anhängern – hört man nicht mehr viel, seitdem der Hegemann-Schwindel aufgeflogen ist. Wie schrieb er so schön in seiner vorschnellen Rezension: „Große, unvergeßliche Literatur.“



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