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Aus der Welt der Literatur



2007-07-25
Schnee, der auf Zedern fällt (David Guterson / Verlag btb / ISBN 3-442-72249-7)

David Gutersons Welterfolg, 1994 erschienen, lebt zuallererst von der Handlung, von den Dialogen, erst dann von seiner sprachlichen Qualität.
Einen amerikanischen Jungen, ein japanisches Mädchen führt das Leben an der Nordwestküste der USA zusammen. Doch das Schicksal will nicht, daß sie auf Dauer zueinanderfinden. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, Pearl Harbor, der japanisch-amerikanische Krieg werfen düstere Schatten, verändern das Land und seine Bewohner.
Guterson zeigt auf beklemmende Weise, wie rasch bislang gelittene Menschen auf Ablehnung, wie unvermittelt Feindbilder über Nacht erwachsen können und wie dünn oft die Schicht nur ist, auf der zivilisiertes Zusammenleben, das Miteinander verschiedener Kulturen ruhen.

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Textauszug:


„Wir haben von Bürgern hier am Ort Beschwerden erhalten, daß gewisse feindliche Ausländer auf San Piedro Gegenstände in ihrem Besitz haben, die zur Konterbande erklärt wurden“, sagte der kleinere Mann. „Wir haben die Aufgabe, das Haus nach solchen Gegenständen zu durchsuchen. Wir bitte um Ihre Kooperation.“
„Ja, natürlich“, sagte Hisao.
Der größere Mann ging in die Küche. Sie konnten ihn durch die offene Tür hindurch sehen: Er spähte unter das Waschbecken und öffnete die Ofentür. „Wir müssen auch Ihre Privatsachen durchsuchen“, erläuterte der kleinere Mann. Er nahm Hisao den Umschlag aus der Hand und steckte ihn wieder ein. „Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus“, fügte er hinzu.
Er öffnete den 'tansu', eine Kommode in einer Ecke des Wohnzimmers. Er zog Fujikos Seidenkimono mit der Goldbrokat-Schärpe heraus. „Sehr hübsch“, sagte er und hielt ihn ins Licht. „Wohl noch aus der alten Heimat. Ganz was Edles.“

Der größere Mann kam aus der Vorratskammer ins Wohnzimmer zurück; in einer Hand hatte er Hisaos Schrotflinte, vier Schachteln mit Munition hielt er an die Brust gedrückt.
„Der Kerl hat lauter Waffen“, sagte er zu seinem Partner. „Ein großes altes Schwert ist auch noch da.“
„Leg alles auf den Tisch“, sagte der kleine Mann. „Und mach überall Schilder dran, Wilson – hast du die Schilder mitgebracht?“
„Hab ich in der Tasche“, antwortete Wilson.
Die jüngste Tochter der Imadas fing an zu schluchzen und schlug die Hände vors Gesicht.
„Na, na, Kleine“, sagte der FBI-Mann. „Ich weiß, das ist zum Fürchten – aber soll ich dir was sagen? Es ist kein Grund zum Weinen, hörst du? Wir sind gleich fertig, und dann verschwinden wir wieder.“
Der große Mann mit Namen Wilson holte Hisaos Schwert. Dann nahm er das Schlafzimmer in Angriff.

„Wissen Sie was“, sagte der erste Mann zu Hisao. „Wir sitzen einfach still und warten, bis Wilson fertig ist. Dann machen wir beide, Sie und ich, einen kleinen Gang nach draußen. Wir heften Schilder an dieses Zeug hier und laden es in unseren Wagen. Dann können Sie mich über Ihr Grundstück führen. Wir müssen alles durchsuchen, so ist es eben.“
„Ich verstehe“, sagte Hisao. Er und Fujiko hielten einander jetzt bei der Hand. „Nicht nervös werden“, sagte der FBI-Mann. „In ein paar Minuten sind Sie uns los.“
Er stand am Tisch und versah die Sachen mit Schildern. Eine Weile wartete er schweigend. Er wippte mit dem Fuß und hielt sich die Flöte an den Mund. „Wilson“, rief er schließlich. „Nimm die Pfoten von der Unterwäsche.“ Dann lachte er leise und hob Hisaos Schrotflinte hoch.
„Die müssen wir mitnehmen“, sagte er entschuldigend. „Das ganze Zeug hier, verstehen Sie. Das wird eine Weile einbehalten – weiß der Himmel, warum – und Ihnen dann alles wieder zugestellt. Es wird zurückgebracht, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind. Kompliziert, aber so ist es eben. Wir haben Krieg, und so ist es eben.“

„Die Flöte ist kostbar“, sagte Hisao. „Kimono, Notenblätter – diese Dinge müssen Sie mitnehmen?“
„Alle diese Sachen, jawohl“, sagte der FBI-Mann. „Alles Zeug aus der alten Heimat müssen wir mitnehmen.“
Hisao war still, seine Stirn gerunzelt. Wilson kam mit ernstem Gesicht aus den Schlafzimmern; er brachte Hatsues Album mit. „Du bist doch pervers“, sagte sein Partner. „Mach schon!“
„Blödsinn“, sagte Wilson, „ich hab die Schubladen durchsucht. Mach´ s doch nächstes Mal selbst, wenn´ s dir nicht paßt.“
„Hi-see-o und ich gehen jetzt vor die Tür“, sagte der kleine Mann. „Du kannst hier bei den Damen bleiben und weiter Schilder anbringen. Und sei höflich“, sagte er mahnend.
„Ich bin immer höflich“, sagte Wilson.

Hisao und der kleine Mann gingen hinaus. Wilson heftete Schilder an. Als er fertig war, blätterte er Hatsues Album durch und kaute auf seiner Lippe herum. „Erdbeerprinzessin“, sagt er und sah zu ihr hoch. „Da warst du bestimmt stolz.“
Hatsue antwortete nicht. „Das ist ein gutes Bild“, fügte Wilson hinzu. „Gut getroffen. Sieht wirklich genau aus wie du.“
Hatsue sagte nichts. Sie wünschte sich, Wilson würde die Hände von ihrem Album lassen. Sie wollte ihn schon höflich bitten, es wegzulegen, da kamen Hisao und der andere Mann durch die Tür. Der FBI-Mann trug eine Kiste. „Dynamit“, sagte er. „Sieh dir das an, Wilson.“ Er stellte die Kiste vorsichtig auf den Tisch. Die beiden Männer griffen hinein – sie zählten vierundzwanzig Dynamitstäbe. Wilson sog an seiner Backe und starrte.
„Sie müssen mir glauben“, bat Hisao. „Das ist nur für die Baumstümpfe, nur zum Roden.“
Der kleinere FBI-Mann schüttelte ernst den Kopf. „Mag sein“, sagte er. „Aber schlimm ist es trotzdem. Dies Zeug hier“, er zeigte mit dem Finger auf die Kiste, „das ist Konterbande. Sie hätten das Zeug abliefern müssen.“

Sie nahmen die Flinte, die Munition, das Schwert und das Dynamit und packten alles in den Kofferraum. Wilson kam mit einem Segeltuchbeutel wieder und sackte Album, Kimono, Notenblätter und zum Schluß die Flöte ein. Als alles im Kofferraum ihres Autos verstaut war, setzten sich die FBI-Männer noch einmal. „Das war´ s dann“, sagte der Kleinere. „Wissen Sie was?“ sagte er zu Hisao.
Hisao gab keine Antwort. Er saß in Sandalen und Pullover da, blinzelte, hielt die Brille in der Hand. Er wartete, daß der FBI-Mann weiterredete.
„Wir müssen Sie verhaften“, sagte Wilson. „Das bedeutet eine kleine Reise nach Seattle.“ Er hakte Handschellen von seinem Gürtel ab, wo sie neben seiner Pistole hingen.
„Die brauchst du doch nicht“, sagte der kleinere Mann eindringlich. „Der Bursche hier ist ein Gentleman. Handschellen müssen nicht sein. Die werden Ihnen dort nur ein paar Fragen stellen, okay? Wir fahren jetzt nach Seattle hinunter, dann ein paar Fragen, ein paar Antworten, und alles ist überstanden.“
Die beiden kleineren Mädchen weinten. Die Jüngste versteckte das Gesicht in den Händen, und Hatsue legt den Arm um sie. Sie zog den Kopf ihrer Schwester an sich und strich ihr sanft übers Haar. Hisao stand auf.
„Nicht mitnehmen, bitte“, sagte Fujiko. „Er hat nichts Böses getan. Er – „
„Das weiß keiner“, sagte Wilson. „Niemand kann das sagen.“




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