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Aus der Welt der Literatur



2007-10-11
Der Mantel (Nikolaj Gogol / Reclam Verlag / ISBN 3-15-008505-5)

Es gibt sie noch, die „Reclam“-Hefte, klein und handlich, erinnern schon fast wehmütig an die eigene Schulzeit. Ihre Welt sind die Klassiker. Und in einem dieser wunderbaren Heftchen taucht auch Nikolaj Gogol auf, der zu den brillantesten, unnachahmlichen russischen Autoren jener Epoche gehört. „Der Mantel“ ist vielleicht seine bekannteste Erzählung, handelt von einem Mann, dessen Tag, dessen Leben sich in grotesker Weise um die Finanzierung eines neuen Mantels zu drehen beginnt.

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Der Mantel (Nikolaj Gogol)

Im Departement für .....doch halt, wir wollen es lieber nicht nennen. Nichts kann man nämlich leichter in Harnisch bringen als irgendein Departement, ein Regiment oder eine Kanzlei, mit einem Wort: die angehörigen irgendeines Standes, der dem Staate dient. Heutzutage glaubt jedermann, in seiner Person beleidige man gleich die ganze Innung. Wie man hört, ging vor gar nicht langer Zeit das Ersuchen eines Hauptmanns ein, Polizeioberer in einer Stadt, deren Namen ich vergessen habe, der klipp und klar bewies, daß das ganze staatliche Ordnungswesen seinem Zusammenbruch entgegengehe und die geheiligte Amtsbezeichnung „Polizeihauptmann“ keinerlei Respekt mehr genieße. Zum Belege hatte er ein voluminöses romantisches Werk beigelegt, in dem alle zehn Seiten ein Polizeioberer wie er auftaucht – an einigen Stellen sogar in völlig betrunkenem Zustand. Weshalb wir denn zur Vermeidung jeglicher Unannehmlichkeiten das Departement, um das es hier geht, lieber als ein gewisses Departement bezeichnen wollen.

In einem gewissen Departement also arbeitete ein Beamter. Man kann nicht sagen, daß dieser Beamte besonders bemerkenswert gewesen wäre. Er war klein gewachsen, ein wenig pockennarbig, ein wenig rothaarig und sogar ein wenig kurzsichtig; er hatte eine kleine Stirnglatze, seine Wangen durchzogen Falten, und sein Gesicht hatte jene Farbe, die man als hämorrhoidal bezeichnet.....Was kann man da machen! Schuld hat das Petersburger Klima. Was nun seinen Rang betrifft (denn bei uns muß man zuallererst darüber Klarheit schaffen), so war er das, was man einen ewigen Titularrat nennt, ein Wesen also, über das bekanntlich diverse Schriftsteller, welche die löbliche Gewohnheit haben, sich Leute vorzunehmen, die sich ihrer Haut nicht wehren können, reichlich hergezogen sind und sich auf seine Kosten amüsiert haben.

Der Beamte hieß Baschmatschkin.
Nun sieht man ja auf den ersten Blick, daß dieser Name einmal von „Baschmak“, also „Schuh“, abgeleitet worden ist; aber wann, zu welcher Zeit und auf welche Art und Weise diese Ableitung entstanden ist – darüber ist absolut nichts bekannt. Der Vater sowohl wie der Großvater und sogar der Schwager samt sämtlichen Baschmatschkins gingen nämlich in Stiefeln, die sie nur einmal im Jahr frisch besohlen ließen. Mit Vor- und Vatersnamen hieß er Akakij Akakijewitsch. Das mag dem Leser etwas seltsam und gesucht erscheinen. Ich kann jedoch versichern, daß hier überhaupt nichts gesucht wurde, sondern daß sich ganz von selbst Umstände ergaben, die eine andere Namensgebung absolut unmöglich machten.

Und das kam so: Akakij Akakijewitsch wurde in der Nacht zum 23. März geboren, wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht im Stich läßt. Seine verstorbene Mutter, Beamtengattin und eine sehr gute Frau, wollte wie üblich einen Taufnamen für das Kind auswählen. Das Mütterchen lag noch im Bett, gegenüber der Tür, und zu ihrer Rechten standen der Taufpate, Iwan Iwanowitsch Jeroschkin, ein hervorragender Mann, der als Tischvorsteher im Senat diente, und die Taufpatin Arina Semjonowna Belobrjuschkowa, Gattin des Reviervorstehers, eine mit seltenen Tugenden gesegnete Frau. Man offerierte der Wöchnerin drei Vornamen zur Auswahl: Mokkij, Sollij oder Chosdasat, den Märtyrer. Herrjeh, das sind mir vielleicht Namen, dachte die Mutter seligen Angedenkens. Um ihr gefällig zu sein, schlug man den Kalender an einer anderen Stelle auf; hier fanden sich wieder drei Namen: Trifilij, Dula und Warachassij. „Das ist ja eine Strafe Gottes“, sagte das Mütterchen, „was für Namen! Wahrhaftig, so was habe ich noch nie gehört. Zum Beispiel Waradat oder Waruch – das hätte ich mir noch gefallen lassen; aber Trifilij und Warachassij!“ Man schlug noch eine Seit um.......





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