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Aus der Welt der Literatur



2008-05-17
Das Erzählen und die guten Absichten / Sten Nadolny / Piper Verlag/ ISBN 3-492-11319-2

Sten Nadolny schrieb außer seinem Welterfolg „Die Entdeckung der Langsamkeit“ noch andere wunderbare Texte, unter anderem das hier auszugsweise vorgestellte schmale Büchlein über seine fünf Gastvorlesungen 1990 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.
Darin ging es um das Warum und Wie des Romanschreibens, um das Autoren-Dasein schlechthin. Nadolny schonte weder sich selbst noch andere bei seiner Analyse und Deutung der Beweggründe, die Menschen zur Feder greifen lassen, um sich an der Abfassung eines Romans zu versuchen. Sachlichkeit im Wechsel mit Ironie, munter-humorvolles Erzählen und schnörkellose Wertungen zogen sich durch sämtliche Vorträge Nadolnys.
Die hier wiedergegebene Einleitungsrede hielt er hingegen – aus welchen Gründen auch immer – nicht. Obwohl vor fast zwanzig Jahren zu Papier gebracht, bleibt sie in ihren wesentlichen Passagen zeitlos, verliert sie, insbesondere den „Literaturbetrieb“ betreffend, nichts an Aktualität.

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Ursprüngliche Einleitungsrede Nadolnys zu seinen „Münchner Poetikvorlesungen“ im Juli 1990 (nicht vorgetragen), entnommen dem vorgenannten Buch:



Meine Damen und Herren,

zu den guten Absichten, die nicht immer zu erfreulichen Ergebnissen führen, gehört auch die, das Entstehen von Literatur erklären zu wollen. Ich werde trotzdem versuchen, Ihnen ein paar Erfahrungen mitzuteilen – aber ich weiß nur, wie insgesamt drei Romane bei mir entstanden sind, und mehr nicht. Wodurch sie „gut“ oder „schlecht“ geworden sind, darüber kann ich zwar reden, aber eher so wie ein Kranker von seinem Zustand oder überstandenen Anfällen redet – was wirklich vorlag, sagt Ihnen der Arzt besser. Schon weil sich der Zustand des Kranken durch fortwährendes Reden wieder bedenklich verschlechtern könnte.

Und ich werde Ihnen tatsächlich in dieser Vorlesung vor allem die Geschichte eines Romans erzählen, der gescheitert ist, weil der Autor zuviel darüber geredet hat. (Andere Möglichkeit: der nur deshalb gelungen ist, weil der Autor darüber zu niemandem ein Wort sprach – und ich werde erzählen, wie dieser Autor auch sein nächstes Buch sehr gut zustande brachte, weil er weiterhin kein Wort über das Schreiben sagte.)

Poetikvorlesungen werden, fürchte ich, immer von den Falschen gehalten: entweder sind es gute Autoren, die lieber Literatur schreiben sollten, statt ihre Zeit zu verschwenden, oder unvollkommene, deren Werk alles auch noch so Kluge, was sie verkünden, zuverlässig relativiert.

Jetzt sollen Sie hören, was Sie in etwa erwartet. Zunächst möchte ich – immer auch am Beispiel jenes genannten, aber erfundenen Autors – über Einfälle, Traumbilder und Visionen sprechen, dann über die „guten Absichten“, die sich, wie die Muse, ebenfalls quasi von außen nähern, aber aus dem Bereich des Gesellschaftlichen. Das Etikett „gut“ (auch „hilfsbereit“, „fortschrittlich“, „taktvoll“, „liebenswürdig“, „klug“, „menschheitsrettend“, „erzieherisch“ und andere) sorgt für Begehrlichkeit auch bei Autoren: Wer will nicht „gut“ heißen und für irgend etwas, für möglichst viel natürlich, gelobt werden?

Das Erzählen folgt allerdings nicht den Gesetzen von Nachfrage und Angebot, zumindest nicht in der Weise, daß Bestellungen aufgegeben werden könnten, wonach Romanfiguren und ihre Schicksale so und so auszusehen hätten. Wer solche Bestellungen trotzdem annimmt, wird mit den Gesetzen des Erzählens rasch in Konflikt geraten. Ich werde also zwischendurch versuchen zu erklären, was das Erzählen ist und tut und was es braucht. Ich nenne gleich das Wichtigste: Es braucht seine eigene Balance. Erzählen ist eine Art Fortbewegung, und es kann nicht unfallfrei gesteuert werden, wenn irgendwer dem Fahrer in den Lenker greift. Das Fahrrad ist hier ein brauchbares Bild: Fortbewegung braucht Steuerung, Steuerung braucht Gleichgewicht, Balance wiederum Fortbewegung. Womit ein Radfahrer steht und fällt, ist, daß er fährt und lenkt. Selbst lenkt. Erzählen mit bestelltem Ausgang, das ist wie ein Schienenfahrrad: ein Unding.

Dies läßt sich auch ein wenig in die Konstruktions- und Spracharbeit des Schriftstellers hinein verfolgen. Sein schöpferischer Aufbruch ist immer auch mit einer Abwehr verbunden – und muß es sein, um sich zu sichern – , einer Abwehr vor allem von Verpflichtungen der genannten Art.

Ich will dann über den Leser sprechen, der keine „Zielgruppe“ ist, sondern etwas sehr viel Besseres, auch für die Arbeit selbst, was vielleicht einige erstaunen wird. Ferner möchte ich, wenn dann noch Zeit ist, auf das kommen, was ich das „doppelte Unternehmertum“ des Autors nenne, künstlerische und ökonomische Selbständigkeit mit allen Risiken und einigen Chancen. Ich werde mich daher in der vierten oder fünften Vorlesung mit dem Beruf und dem „Betrieb“, der Schriftstellerei und mit dem Kulturbetrieb insgesamt beschäftigen, dabei einige Literaturkritiker mit Namen nennen und Ihnen anhand ihrer eigenen Texte beweisen, daß sie sich in der Welt mehr Ehre erworben hätten, wenn sie Versicherungsvertreter, Politessen oder Hausmeister am Städtischen Gymnasium geworden wären. Also, das ist in der fünften Vorlesung, am 17. Juli. Ich werde dabei insbesondere Herrn.... und Frau .... und, wie Sie schon ahnen, Herrn.... größte Aufmerksamkeit zuwenden.

Zuletzt sage ich Ihnen, wie ich mir die Bücher, die Autoren und die Literatur in näherer und fernerer Zukunft vorstelle. Darüber kann ich jetzt noch nichts sagen, weil ich in meinen Vorbereitungen noch nicht bis zur Zukunft gekommen bin.



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