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Aus der Welt der Literatur



2008-10-03
Die Ehegatten (Deutsche Balladen / Reclam Verlag / ISBN 3-15-008501-2)

Balladen erzählen uns häufig von irdischer Vergänglichkeit, von Schmerz und Abschiednehmen. Marie Luise Kaschnitz (Freifrau von Kaschnitz-Weinberg) schrieb in „Die Ehegatten“ bedrückende Verse über den Verlust, der unaufhaltsam über jedes Paar einst hereinbrechen wird. Nach dreiunddreißig gemeinsamen Jahren starb ihr Mann; sie überlebte ihn sechzehn Jahre.
In ihrer Ballade zerbricht ein Mann am Tod seiner Frau.

Marie Luise Kaschnitz kam am 31. Januar 1901 in Karlsruhe zur Welt und starb am 10. Oktober 1974 in Rom; beigesetzt wurde sie in Bollschweil im Breisgau im Familiengrab des Vaters Adolf Max Freiher von Holzing-Berstett.

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Die Ehegatten
(Marie Luise Kaschnitz)


Als die Wiese stand im weißen Schaum
Und der Friedhof drin versunken lag,
Längs der Mauer blühte Baum an Baum,
Gruben sie ein Grab vor Jahr und Tag.
Eine Tote legten sie hinein,
Ließen Raum im Grab und auf dem Stein.

Doch nach Jahresfrist am Grabe stand,
Der sich hier die Ruhestatt erkor,
In der Erde wühlte seine Hand,
An die Erde legte er das Ohr,
Zu der Erde Tiefe schrie sein Mund:
Du, höre...du...
Und ein Echo kam vom Mauerrund:
Du...

Und er sprach: „Der Frühling ging dahin,
Und der Sommer klang im Sturme aus,
Immer lebt´ ich mit erstorbnem Sinn
Wie ein Toter in dem toten Haus.
Doch die Zeit mich in den Winter trug,
Und aus meiner Brust die Flamme schlug.

Da die Flamme nicht verlöschen mag,
Komme du nun aus der Erde Schoß,
Mir beginnt ein neuer Lebenstag,
Die du mich gebunden, sprich mich los.
Ist vorüber dein und meine Zeit,
Hab die junge Liebste heut gefreit...“

Da erhob sich´s überm Wiesenland
Und wie Nebel sich zusammenballt´,
Wallt´ es über Weg und Mauerrand,
Sank zu ihm in menschlicher Gestalt.
Und in ihren beiden Händen trug,
Seine Frau den blauen Hochzeitskrug.

Und sie sprach: „Ich kam, ich zürne nicht.
Ja, du sollst zu deiner Liebsten gehn,
Gern nur möchte ich dein Angesicht
Noch für eine kleine Weile sehn.
Waren wir doch lange uns vertraut,
Schenke mir nun diese kleine Zeit,
Noch zu reden, eh der Morgen graut,
Zu verkürzen mir die Ewigkeit...“
Und da sie an seiner Seite saß,
Schenkte sie ihm ein das erste Glas.

Lange blickt´ sie übers Wiesenland,
Sprach: „Wie ist das junge Laub schon dicht,
Unterm steilen Hange liegt der Strand,
Einst sah ich dich dort im Morgenlicht.
Längs der Wellen liefst du, Sprung auf Sprung,
Ach – nun scheinst du mir wie damals jung...“

Und er lauscht´. Mit zauberischer Macht
Führt´ sie ihn in die vergangne Zeit,
Daß er spürt´ den Hauch der Winternacht,
Erntefestes grelle Fröhlichkeit,
Fühlt´ der Arbeit Müdigkeit und Schweiß;
Schlang das Essen, sank in schweren Schlaf,
Hört` das Donnerrollen unterm Eis,
Ging den Weg, wo er sie erstmals traf.
Spürt´ den ersten Kuß beim Tanz im Krug,
- Und erwachte, als die Turmuhr schlug.

Da erhob er taumelnd sich, verstört.
Doch sie bat: „Ach bleibe, geh noch nicht.“
Und er hat die Stunde nicht gehört,
Und noch immer war der Himmel licht.
Wie er zögernd ihr zur Seite sank,
Schenkte sie ihm ein den zweiten Trank.

„Nicht mehr bist du von des Knaben Art“,
Sprach sie und erfaßte seine Hand,
„Doch dem Manne gleich, der auf der Fahrt
Übers Meer an meiner Seite stand.
Da so geisterhaft und riesengroß
Wuchs die fremde Stadt aus fremdem Schoß.“

Und er hört´s, da riß es ihn schon fort;
Lärm der Straßen, Schritt um Schritt auf Stein,
Rädersausen, fremder Sprache Wort,
Streit und Eifersucht und Freund und Feind.
Fühlt´ in kahlen Zimmern Liebeslust,
Wunder der Geburt in Schrei und Stoß,
Sieht sein Kind an ihrer reichen Brust,
Und das zweite weitet schon den Schoß.
Andre Städte, Geld und nie genug...
- Fernher kehrt er, als die Turmuhr schlug.

Wieder schreckt´ er auf: „Die Nacht vergeht,
Laß mich fort nun, denn sie wartet mein.“
Und sie bat: „Du kommst noch nicht zu spät,
Doch ich bin in Ewigkeit allein.“
Ihrer Blicke Trauer hielt ihn fest,
Und sie schenkte ihm des Weines Rest.

Sprach: „Wie nah nun scheint die Stunde mir,
Die wir lang erseht und lang entbehrt,
Da ich in des Vaters Haus mit dir
Von der Wanderschaft zurückgekehrt.
Alles sahst du froh und mit Bedacht,
Du zerriebst die Erde mit der Hand,
Führtest noch die Kinder in der Nacht,
In der hellen Nacht hinab zum Strand...“

Wieder zog es ihn gewaltig hin,
Ging als Sämann, steuerte das Boot,
Wie da alles vorgezeichnet schien,
Langes Leben, Friede, Arbeit, Brot...
Dann das Feuer. Auszug und Gesang,
Weib und Kind und Haus und Land bedroht,
Er im Graben, monde-, jahrelang,
Lehm und Blut und tausendfacher Tod.
Müde Heimkehr, neue Last...vorbei...
Schlag der Uhr vom Turm und Hahnenschrei...

Doch er saß, als hätt´ er´s nicht gehört,
Sah den reinen Himmel nicht erglüht,
Sah die Erde nicht vom Tau genährt,
War von langer Lebenszeit so müd.
Lächelnd sprach sie: „Geh, ich halt dich nicht...
Diese Helle ist das Morgenlicht...“

Spät ist er ins Dorf zurückgekehrt,
Pochte an die Türen alle an,
Niemand hat den Einlaß ihm verwehrt,
Jeder fragt: „Wen suchst du, alter Mann?“

Und es jammert´ jeden, wie er dann,
Qual und Staunen auf dem Angesicht,
Lange Zeit vergebens sich besann
Und dann stammelte: „Ich weiß es nicht...“












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