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Aus der Welt der Literatur



2009-04-29
Die Brautprinzessin ( William Goldman / Klett-Cotta-Verlag / ISBN 3-608-93871-5 )

„Ein phantastisches Buch. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher“, sagt Cornelia Funke über „Die Brautprinzessin“, zitiert daraus in ihren eigenen Texten. Ein Märchenbuch, gewiß, ein Fantasy-Buch, natürlich, mit irrwitzigen Handlungssträngen und Übertreibungen. Voller Banalitäten und schieren Belanglosigkeiten, überquellend von Naivitäten und Unwahrscheinlichkeiten. Gerade deshalb spricht es vielleicht den geneigten Leser besonders an. Weil Einfaches und Kompliziertes meist nah beieinander liegen, das Simple die Welt oft besser erklärt als alles andere?

William Goldman, sehr viel bekannter als Drehbuchautor denn als Romancier, gelang 1973 mit „Die Brautprinzessin“ ein inzwischen weltbekanntes Buch, das 1977 erstmals ins Deutsche übersetzt wurde, doch bis zum heutigen Tage hierzulande von der Kritik mehr oder weniger hartnäckig ignoriert wird. Anderenorts dagegen errang der ursprünglich vom Autor als Kinder- und Jugendbuch angelegte Roman inzwischen in durchaus ernstzunehmenden Literaturkreisen häufig Kultstatus, während die eigentliche Zielgruppe – Kinder und Jugendliche – bei uns kaum etwas darüber weiß.

Goldman befaßt sich in seiner genialen Geschichte mit einem angeblichen Ur-Roman gleichen Titels aus ferner Vergangenheit, geschrieben von einem gewissen S. Morgenstern. Vom Mittelalter ist die Rede, doch Genaues über den Autor wie die vermeintliche Urfassung des Werkes findet sich offenbar nirgendwo an. Man darf wohl davon ausgehen, daß „Die Brautprinzessin“ erstmals aus Goldmans Feder erstand, und zwar in Gänze, alle Vergangenheitsbezüge und sonstiges Beiwerk seiner bewundernswerten Phantasie entstammen.

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Textauszug (Beginn):

In dem Jahr, als Butterblume geboren wurde, war die schönste Frau der Welt ein französisches Küchenmädchen namens Annette. Annette arbeitete in Paris für den Herzog und die Herzogin von Guiche, und es entging der Aufmerksamkeit des Herzogs nicht, daß jemand Außergewöhnliches ihnen die Zinnteller putzte. Die Aufmerksamkeit des Herzogs wiederum entging nicht der Aufmerksamkeit der Herzogin, die weder sehr schön noch sehr reich, aber enorm gescheit war. Die Herzogin machte sich daran, Annette zu studieren, und schnell fand sie die tragische Schwäche ihrer Gegnerin heraus.
Schokolade.

So gerüstet, ging die Herzogin ans Werk. Das Palais de Guiche verwandelte sich in ein Süßwarenparadies. Wohin man auch sah, gab es Bonbons. In den Salons lagen haufenweise Pralinen, in den Vorzimmern standen Körbe mit schokoladenüberzogenem Nougat.
Annette hatte überhaupt keine Chance. Binnen einer Saison schwoll ihre zarte Figur gewaltig an, und der Herzog konnte nie mehr in ihre Richtung blicken, ohne daß eine traurige Verwirrrung ihm die Augen umwölkte. (Annette, so wäre anzumerken, wurde nur um so vergnügter, je mehr sie sich ausdehnte. Sie heiratete schließlich den Chefkonditor, und beide aßen sie noch viele gute Dinge, bis das Alter sie abberief. Nicht so vergnüglich, wie ebenfalls anzumerken wäre, erging es der Herzogin. Aus unerforschlichen Gründen entbrannte der Herzog nunmehr für seine Schwiegermutter, womit er der Herzogin Magengeschwüre bereitete, nur daß man damals noch keine Magengeschwüre hatte. Genauer gesagt, Magengeschwüre existierten, und die Leute hatten welche, aber sie hießen nicht „Magengeschwüre“. Die medizinische Wissenschaft jener Zeit nannte sie „Bauchschmerzen“ und befand, die beste Kur sei Kaffee mit einem Schuß Cognac, zweimal täglich, bis die Schmerzen nachließen. Die Herzogin nahm ihre Medizin gewissenhaft ein und sah all die Jahre hindurch zu, wie ihr Gatte und ihre Mutter sich hinter ihrem Rücken Kußhände zuwarfen. Es überrascht nicht, daß die Übellaunigkeit der Herzogin legendär wurde, wie Voltaire so glänzend berichtet hat. Nur war dies vor Voltaire.)

In dem Jahr, als Butterblume zehn wurde, war die schönste Frau die Tochter eines erfolgreichen Teegroßhändlers in Bengalen. Der Name dieses Mädchens war Aluthra, und ihre Haut war von einer dunkel schimmernden Vollkommenheit, wie man sie in Indien seit achtzig Jahren nicht gesehen hatte. (In ganz Indien gab es nur elf Fälle von vollkommener Hauttönung seit Beginn zuverlässiger Aufzeichnungen.) Aluthra war neunzehn in dem Jahr, als in Bengalen die Pockenseuche ausbrach. Das Mädchen überstand sie, ihre Haut nicht.

Als Butterblume fünfzehn war, galt Adela Terrell aus Sussex an der Themse unumstritten als das schönste Geschöpf. Adela war zwanzig, und sie ließ alle Welt so weit hinter sich, daß es gewiß schien, sie würde noch über viele, viele Jahre hin die Schönste sein. Aber dann, eines Tages, rief einer ihrer Verehrer aus (sie hatte deren 104), ohne jeden Zweifel sei Adela das erhabenste Exemplar der weiblichen Gattung. Geschmeichelt begann Adela über die Wahrheit dieses Urteils nachzusinnen. In jener Nacht, als sie allein in ihrem Zimmer war, untersuchte sie sich Pore für Pore vor dem Spiegel. (Spiegel gab es schon.) Die Inspektion dauerte fast bis in die Morgendämmerung, dann aber war ihr klar, daß der junge Mann sie völlig richtig eingeschätzt hatte: Sie war vollkommen, ohne daß sie selbst etwas dafür konnte.

Als sie durch die Rosengärten ihrer Familie schlenderte und zusah, wie die Sonne aufging, fühlte sie sich glücklicher als je zuvor. „Ich bin nicht nur vollkommen“, sagte sie sich, „ich bin wohl auch das erste vollkommene Geschöpf in der ganzen langen Geschichte des Universums. Kein Teil an mir ließe sich verbessern, was hab ich für ein Glück, daß ich vollkommen bin und reich und begehrt und gefühlvoll und jung und ...“
Jung?
Nebel erhoben sich um Adela, als sie nachzudenken begann. Gefühlvoll werde ich natürlich immer sein, dachte sie, und reich auch immer, aber ich weiß nicht recht, wie ich es machen soll, daß ich immer jung bleibe. Und wenn ich nicht mehr jung bin, wie soll ich da vollkommen bleiben? Und wenn ich nicht vollkommen bin, was ist dann? Was dann? Adela furchte die Stirn in verzweifeltem Nachdenken. Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß ihre Stirn sich hatte furchen müssen und Adela stöhnte, als ihr klar wurde, was passiert war, erschrocken über den möglicherweise dauernden Schaden, den sie sich zugefügt hatte. Sie eilte zurück zu ihrem Spiegel, wo sie den Morgen verbrachte, und obwohl es ihr gelang, sich davon zu überzeugen, daß sie immer noch so vollkommen war wie zuvor, war sie ohne Zweifel nicht mehr ganz so glücklich wie noch eben.
Sie hatte angefangen sich zu sorgen.
Binnen vierzehn Tagen tauchten die ersten harten Linien auf, nach einem Monat die ersten Fältchen und ehe das Jahr um war, hatte sie jede Menge Falten. Bald darauf heiratete sie ebenjenen Mann, der sie der Erhabenheit bezichtigt hatte und machte ihm viele schöne Jahre lang die Hölle heiß.

Butterblume wußte natürlich mit fünfzehn von all dem nichts. Und hätte sie davon gewußt, sie hätte es völlig unbegreiflich gefunden. Wie konnte eine sich darum kümmern, ob sie nun die schönste Frau der Welt war oder nicht? Was machte es für einen Unterschied, wenn man bloß die drittschönste war? Oder die sechste? Butterblume rangierte zu dieser Zeit noch nicht entfernt so hoch, kaum unter den ersten zwanzig und das auch nur wegen ihrer Anlagen und gewiß nicht, weil sie sich besonders gepflegt hätte. Sie wusch sich sehr ungern das Gesicht und schon gar nicht die Gegend hinter den Ohren, sie hielt nichts davon, sich zu kämmen und tat es so selten wie möglich. Was sie gern tat, vor allem anderen, war, auf ihrem Pferd zu reiten und den Stalljungen zu drangsalieren.

Butterblumes Pferd hieß „Pferd“ (mit ihrer Phantasie war es nicht weit her), es kam, wenn sie es rief, ging, wohin sie es lenkte und tat, was sie ihm befahl. Auch der Stalljunge tat, was sie ihm befahl. Er war nun eigentlich schon eher ein junger Mann, aber er war ein Waisenkind und als Stalljunge zu ihrem Vater gekommen, und Butterblume redete ihn immer noch so an. „Stalljunge, hol mir dies, bring mir das, und mach ein bißchen schnell, du faules Stück, oder ich sag´s meinem Vater.“






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