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Aus der Welt der Literatur



2009-07-30
Platero und ich (Juan Ramón Jiménez / Insel Taschenbuch / ISBN 3-458-33156-8)

Ein Junge, eigentlich mehr schon ein junger Mann, durchstreift auf einem kleinen Esel seine andalusische Heimat, und immerzu plaudert der junge Reiter mit „Platero“, der ihn klaglos trägt und erträgt, erzählt ihm von allem, was er sieht, was er denkt, wie er empfindet, läßt sein sanftmütiges Reittier teilhaben an seiner Sicht der Welt, im kleinen wie im großen.

Entgegen naheliegender Befürchtung gestaltete Jiménez die Geschichte nicht als sentimentales Rührstück, vermenschlichte den Esel nicht, sondern brachte viele berückende Texte zu Papier, nicht belehrend, nicht moralisierend, nicht das Lamento eines altersklugen, naseweisen Heranwachsenden. Das zwischen zwei aufgestellten Eselsohren hindurch Beobachtete, die Erlebnisse am Wegesrand sprechen ihre eigene Sprache, und Jiménez macht daraus Schilderungen voller wundervoller Poesie, eine – wie er es selbst bezeichnete – „andalusische Elegie“, 138 kleine Geschichten und Geschichtchen, viele von ihnen kaum mehr als eine Seite lang.

Juan Ramón Jimenéz erhielt 1956 den Nobelpreis für Literatur, und in erster Linie wurde ihm die Ehrung für „Platero und ich“ (1917 erstveröffentlicht) zugesprochen. Nicht wenige zählen das Werk zu einem der schönsten Bücher des letzten Jahrhunderts. Es stellt sein renommiertestes Buch dar, das 1953 ins Deutsche übersetzt wurde, dennoch bei uns kaum Bekanntheit erlangte.
Jiménez wurde 1881 in Andalusien geboren, besuchte ein Jesuitenkolleg und studierte Jura an der Universität in Sevilla. Bereits mit fünfzehn Jahren veröffentlichte er erste Dichtungen. Er galt zeitlebens als sehr menschen- scheu. Mit neunzehn Jahren verlor er den Vater, verfiel in Depressionen, die den Aufenthalt in einem Sanatorium erforderlich machten. Als seine Frau nach langjähriger Ehe 1956 starb, zog er sich in sein Haus auf Puerto Rico zurück; er überlebte sie nur um zwei Jahre.


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Textauszug:



(Die 1. von 138 Geschichten)


Platero

Platero ist klein, wuschelhaarig, sanft; so weich von außen, daß man meinen könnte, er sei ganz aus Watte, habe keine Knochen. Nur die Gagatspiegel seiner Augen sind hart wie zwei Skarabäen aus schwarzem Kristall.
Ich lasse ihn los, und er läuft auf die Wiese und liebkost mit seinen lauen Nüstern leichthin, fast ohne sie zu berühren, die rosaroten, himmelblauen und goldgelben Blumen ... Ich rufe ihn zärtlich: "Platero?" Und er kommt zu mir her, in einem munteren Trippeltrab, der so lustig anmutet, als lachte er, umspielt von einem rätselhaften Traumglöckchenklimpern...
Er frißt alles, was ich ihm gebe. Besonders schmecken ihm die Mandarinen, die Muskatellertrauben, aus lauter Bernsteinbeeren, die dunkelvioletten Feigen mit ihrem glasklaren Honigtröpfchen ...
Er ist zart, empfindsam und zärtlichkeitsbedürftig wie ein Kind, wie ein kleines Mädchen ...; aber stark und fest im Inneren, wie aus Stein. Wenn ich sonntags auf ihm durch die Gäßchen am Ortsrand reite, bleiben die Landleute stehen, die im guten Azug ihren Bummel machen, und schauen ihm nach: "Der hat Stahl ..."
Aus Stahl ist er. Aus Stahl und Mondsilber zugleich.





(Die 17. von 138 Geschichten)


Der dumme Bub

Immer wenn wir durch die San-José-Gasse nach Hause gingen, saß der dumme Bub vor seiner Haustür, auf seinem Stühlchen, und schaute dem Hin und Her der anderen zu. Er war eines jener armen Kinder, denen nie die Gabe des Wortes, nie das Geschenk reizender Drolligkeit oder Niedlichkeit zuteil wird; ein fröhliches Kind war´s, dessen Anblick traurig stimmte; war ein und alles für seine Mutter, ein Nichts für die übrigen Leute.

Eines Tages, als durch die weiße Gasse der berüchtigte Schwarze Wind ging, sah ich den Buben nicht mehr an seiner Tür. Ein Vogel sang auf der verlassenen Schwelle, und mir fiel Curros ein, der, mehr Vater als Dichter, nachdem er sein Kind verloren, den galicischen Schmetterling nach ihm fragte:

„Volvoreta d’aliñaz douradas...
(„Schmetterling du, mit goldnen Flügelein....")

Jetzt, wo es wieder Frühling wird, denke ich an den dummen Buben, der aus der San-José-Gasse hinaufgegangen ist, in den Himmel. Dort wird er nun auf seinem Stühlchen sitzen, bei den unvergleichlichen Rosen, und wird mit eigenen, neu geöffneten Augen das golden schimmernde Hin und Her der Seligen schauen.





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