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Aus der Welt der Literatur



2009-12-19
Als ich ein kleiner Junge war (Erich Kästner / Deutscher Taschenbuch Verlag / ISBN 3-423-13086-8)

In „Als ich ein kleiner Junge war“ schreibt Kästner, fast sechzig Jahre alt, über seine eigene Kindheit. Ein schmaler Band, in klarer, geradliniger Sprache. Zum Vorlesen vorzüglich geeignet. Selbst für ganz junge Leser schon verständlich und für die erwachsenen keinesfalls zu schlicht. Ein Buch für alle, die dem Zauber der eigenen Kindheit, ihren Wonnen und nicht weniger ihren Verwundungen in Kästners Worten erneut begegnen möchten.

Erich Kästner (1899 – 1974) zählt zu den wenigen renommierten Autoren, der große Literatur sowohl für Kinder als auch für die Erwachsenenwelt schuf. In beiden Genres brachte er es zu Anerkennung und Ansehen weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Zahlreiche seiner Werke wurden in viele Sprachen übersetzt, nicht wenige verfilmt. Zeitlebens war er ein Querdenker, stets blieb er unangepaßt. Die Nationalsozialisten fürchteten seine Schriften, belegten ihn schließlich mit einem Schreibverbot; am Ende landeten seine Bücher auf ihren unsäglichen Scheiterhaufen.
In besonderer Weise lagen ihm Kinderbücher am Herzen, legendäre Titel zieren hier sein Autorenleben: „Pünktchen und Anton“, „Emil und die Detektive“, „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Das doppelte Lottchen“, um nur die bekanntesten darunter zu nennen.

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Textauszug:


......Es gibt zweierlei Zeit. Die eine kann man mit der Elle messen, mit der Bussole und dem Sextanten. Wie man Straßen und Grundstücke ausmißt. Unsere Erinnerung aber, die andere Zeitrechnung, hat mit Meter und Monat, mit Jahrzehnt und Hektar nichts zu schaffen. Alt ist, was man vergessen hat. Und das Unvergeßliche war gestern. Der Maßstab ist nicht die Uhr, sondern der Wert. Und das Wertvollste, ob lustig oder traurig, ist die Kindheit. Vergeßt das Unvergeßliche nicht! .....


.... Gedächtnis und Erinnerung sind geheimnisvolle Kräfte. Und die Erinnerung ist die geheimnisvollere und rätselhaftere von beiden. Denn das Gedächtnis hat nur mit unserem Kopf zu schaffen. Wieviel ist 7 mal 15? Und schon ruft Paulchen: „105!“ Er hat es gelernt. Der Kopf hat es behalten. Oder er hat es vergessen. Oder Paulchen ruft begeistert: „115!“ Ob wir dergleichen falsch oder richtig wissen oder ob wir es vergessen haben und von neuem ausrechnen müssen, – das gute Gedächtnis und das schlechte wohnen im Kopf. Hier sind die Fächer für alles, war wir gelernt haben. Sie ähneln, glaub ich, Schrank- oder Kommodenfächern. Manchmal klemmen sie beim Aufziehen. Manchmal liegt nichts drin und manchmal etwas Verkehrtes. Und manchmal gehen sie überhaupt nicht auf. Dann sind sie und wir „wie vernagelt“. Es gibt große und kleine Gedächtniskommoden. Die Kommode in meinem eignen Kopf ist, zum Beispiel, ziemlich klein. die Fächer sind nur halbvoll, aber einigermaßen aufgeräumt. Als ich ein kleiner Junge war, sah das ganz anders aus. Damals war mein Oberstübchen das reinste Schrankzimmer!

Die Erinnerungen liegen nicht in Fächern, nicht in Möbeln und nicht im Kopf. Sie wohnen mitten in uns. Meistens schlummern sie, aber sie leben und atmen, und zuweilen schlagen sie die Augen auf. Sie wohnen, leben, atmen und schlummern überall. In den Handflächen, in den Fußsohlen, in der Nase, im Herzen und im Hosenboden.
Was wir früher einmal erlebt haben, kehrt nach Jahren und Jahrzehnten plötzlich zurück und blickt uns an. Und wir fühlen: es war ja gar nicht fort. Es hat nur geschlafen. Und wenn die eine Erinnerung aufwacht und sich den Schlaf aus den Augen reibt, kann es geschehen, daß dadurch auch andere Erinnerungen geweckt werden. Dann geht es zu wie morgens im Schlafsaal! ........


.......... Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es noch eiliger. Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben. .............









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