Die faszinierende Welt des Wortes
Aus der Welt der Literatur
Top-Ten der Belletristik
Buch des Monats
Kontakt
Links
Kritikus
In eigener Sache
Login



Aus der Welt der Literatur



2010-02-28
Acheron (Gottfried Benn)

Gottfried Benn schrieb viele verstörende Gedichte, die in ihrer Mehrzahl Unheil und Verlust zum Gegenstand haben, von mystischen Schattenreichen handeln, von wirren, gleichnishaften Traumgebilden. So wie im nachstehenden Gedicht „Acheron“, das er 1948 verfaßte. Im Nordwesten Griechenlands gab es einst einen Fluß namens Acheron (Fluß des Leidens); er mündete ins Ionische Meer, ist inzwischen längst verlandet. In der griechischen Mythologie galt er als Totenfluß, über den der greise Fährmann Charon Tote samt ihrer Seelen in den Hades brachte.

Benn (1886 – 1956) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Lyriker des vergangenen Jahrhunderts. An ihm schieden sich von Beginn an die Geister, schwankten zwischen glühender Akzeptanz und krasser Ablehnung seiner literarischen Arbeit wie auch seiner Person. Bis heute schwebt sein ambivalentes Verhalten in der Zeit der Hitler-Herrschaft dunkel über seinem Werk. Spät – zu spät, wie viele meinen – brach er schließlich mit der nationalsozialistischen Weltanschauung und ihren Zielen, wandelte sich in der Folge vom einstigen Befürworter zu ihrem unmißverständlichen Ankläger und Richter. Er war praktizierender Arzt, überwarf sich mit seinem Vater, der andere berufliche Pläne mit ihm hatte, unterhielt zahlreiche Beziehungen und Liebschaften, darunter Else Lasker-Schüler. Einem beträchtlichen Teil seiner Lyrik liegen autobiographisch geprägte Züge zugrunde, wenn es um Liebe und Begehren, um Sinnenrausch und Trennungsschmerzen geht.
In „Acheron“ setzte sich Benn offensichtlich mit dem Tod seiner zweiten Frau, Hertha von Wedemeyer, auseinander, die sich in Berlin, von ihm dorthin vorausgesandt, kurz vor Kriegsende aus Furcht vor der herannahenden russischen Soldateska das Leben nahm. Zu dieser Zeit weilte er noch als Truppenarzt in Landsberg.

----------------------------------------------------------------------------------



Acheron (Gottfried Benn)


Ein Traum: - von Dir! Du Tote schrittest kühl
im Durcheinander streifender Gestalten,
die ich nie sah, - ein wogendes Gewühl,
mein Blick, der suchte, konnte dich nicht halten.

Und Alles starrte wie aus fremder Macht,
denn Alles trank sich Rausch aus weißen Drogen,
selbst Kindern ward ein Lid herabgezogen
und in die Falte Salbe eingebracht.

Zwei Knaben führtest du, - von mir doch nicht,
von dir und mir, - nein, ich erhielt doch keine,
auch ließest du mich dann nicht so alleine
und zeigtest mir nur flüchtig dein Gesicht,

Nein, du – Diana einst und alabastern,
ganz unvermischbar jedem Fall und Raum –
schwandest in diesem Zug aus Schmach und Lastern
und littest – sah ich so – in diesem Traum.






<- zurück
Impressum