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Aus der Welt der Literatur



2010-08-11
Peter Camenzind (Hermann Hesse / Suhrkamp / ISBN 978-3-518-45850-1)

Schon in seinem ersten Roman „Peter Camenzind“ (erschienen 1904) beschäftigt sich Hesse in der Form des Ich-Erzählers über lange Strecken ausführlich mit den frühen Jahren, mit Kindheit und Jugend. Und es sollte nicht sein einziges Werk bleiben, das unübersehbar sehr stark autobiographisch angelegt ist.
Nicht überall fand Hesse damit Zustimmung und Anerkennung, dennoch zählen seine Geschichten, seine Erzählungen zweifellos zum Eindrucksvollsten damaliger Adoleszenzliteratur.
Die Begegnung mit einem unheilbaren, verkrüppelten Jungen, die selbst gesuchte Nähe zu ihm, sein Tod verändern das Leben Peter Camenzinds, seines Protagonisten, für immer. So wie es wohl auch dem jungen Hesse widerfuhr, wie es mit jedem geschieht, der bewußt das Sterben eines ihm nahestehenden Menschen mitansehen muß.


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Textauszug:


So ist es mit dem Liebhaben. Es bringt Schmerzen, und ich habe deren in der folgenden Zeit viel erlitten. Aber es liegt so wenig daran, ob man Schmerzen leidet oder keine! Wenn nur ein starkes Mitleben da ist und wenn man nur das enge, lebendige Band verspürt, mit dem alles Lebende an uns hängt, und wenn nur die Liebe nicht kühl wird! Ich gäbe alle heiteren Tage, die ich je gehabt, samt allen Verliebtheiten und samt meinen Dichterplänen, wenn ich dafür noch einmal so ins Allerheiligste hineinsehen dürfte wie in jener Zeit. Es tut den Augen und dem Herzen bitter weh, und auch der schöne Stolz und Eigendünkel bekommt seine bösen Stiche ab, aber nachher ist man so stille, so bescheiden, so viel reifer und im Innersten lebendiger!

Schon mit der kleinen, blonden Agi war damals ein Stück von meinem alten Wesen gestorben. Jetzt sah ich meinen Buckligen, dem ich meine ganze Liebe geschenkt und mit dem ich mein ganzes Leben geteilt hatte, leiden und langsam, langsam sterben und litt an jedem Tag mit und hatte meinen Anteil an allem Schrecklichen und Heiligen des Sterbens. Ich war noch ein Anfänger in der ars amandi und sollte gleich mit einem ernsten Kapitel der ars moriendi beginnen. Von dieser Zeit schweige ich nicht, wie ich von Paris geschwiegen habe. Von ihr will ich laut reden wie eine Frau von ihrer Brautzeit und wie ein alter Mann von seinen Knabenjahren.

Ich sah einen Menschen sterben, dessen Leben nur Leiden und Liebe gewesen war. Ich hörte ihn scherzen wie ein Kind, während er die Arbeit des Todes in sich spürte. Ich sah, wie aus schweren Schmerzen heraus sein Blick mich suchte, nicht um bei mir zu betteln, sondern um mich aufzurichten und um mir zu zeigen, daß diese Krämpfe und Leiden das Beste in ihm unversehrt gelassen hatten. Dann waren seine Augen groß, und man sah sein verwelkendes Gesicht nicht mehr, nur den Glanz seiner großen Augen.
„Kann ich dir etwas tun, Boppi?“
„Erzähl mir was. Vielleicht vom Tapir.“
Ich erzählte vom Tapir, er schloß die Augen, und ich hatte meine Mühe zu sprechen wie sonst, denn das Weinen stand mir fortwährend nahe. Und wenn ich glaubte, er höre mich nicht mehr oder schlafe, dann verstummte ich sogleich. Dann machte er wieder die Augen auf.
„ – Und dann?“
Und ich erzählte weiter ......









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