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Aus der Welt der Literatur



2011-06-22
Der Sammler (John Fowles / List-Verlag / ISBN 3-548-60224-0)

Ein schlimmes, ein düsteres Buch, eine albtraumhafte Erzählung. Man ringt um Atem beim Lesen ein ums andere Mal. Es gibt sie, jene Menschen, so wie Fowles in seinem Roman uns einen vorsetzt. Unscheinbar, unauffällig, vermeintlich harmlos, zu keinerlei Gefühlen fähig. Seelenlos, empfindungslos, erbarmungslos. Er arbeitet in der Stadtverwaltung, sammelt Schmetterlinge, die er aufspießt, ein Einzelgänger, ein Sonderling. Dann sammelt er eine Frau ein, die Kunststudentin Miranda, sperrt sie in den verliesartigen Keller seines eigens hierfür hergerichteten, einsam gelegenen Hauses, das er durch einen unerwarteten Geldsegen erstehen konnte. Er wird die junge Frau nicht anrühren in der Zeit, die ihr verbleibt, wird ihr nicht das Erwartete, nicht das Übliche antun. Er will sie nur besitzen, will sie nur für sich haben. Das Böse ist banal. Vergeblich versucht sie ihrem Peiniger zu entkommen, der sich am Ende des Geschehens schon bald nach einem Ersatz für sie, nach einer neuen Gefangenen umzusehen anschickt.

John Robert Fowles (1926 – 2005) war britscher Staatsangehöriger, verdingte sich als Lehrer, bevor er Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vollends zur Schriftstellerei überwechselte. Er schrieb ein gutes Dutzend Romane, von denen einige verfilmt wurden, darunter auch „Der Sammler“ (deutscher Filmtitel: „Der Fänger“, 1965), der es sogar bis zur Oskar-Nominierung brachte.

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Textauszug:


(Die entführte junge Frau führt ein zunächst nicht entdecktes Tagebuch)

In diesem Vakuum kann ich nicht schreiben. An niemand. Wenn ich zeichne, stelle ich mir immer jemand wie G. P. vor, der mir über die Schulter sieht.
Alle Eltern sollten sein wie unsere, dann werden Schwestern wirklich Schwestern. Dann müssen sie einander das bedeuten, was Minny und ich einander bedeuten.

Liebe Minny.
Ich bin jetzt über eine Woche hier, und ich vermisse dich sehr, und ich vermisse die frische Luft und die frischen Gesichter all der Leute, die mir in der Untergrundbahn immer so widerlich waren, und die frischen Dinge, die sich jede Stunde jeden Tags zutrugen. Wenn ich sie nur bemerkt hätte – ihre Frische, meine ich! Was ich am meisten vermisse, ist natürliches Licht. Ich kann nicht ohne Licht leben. Bei künstlichem Licht lügt jeder Strich, da sehnt man sich beinah nach Dunkelheit.

Ich hab´ dir noch gar nicht von meinem Fluchtversuch erzählt. Die ganze Nacht hatte ich darüber nachgedacht, ich konnte nicht schlafen, es war so stickig, und mein Magen ist völlig in Unordnung (er bemüht sich, gut zu kochen, aber es ist hoffnungslos). Ich tat, als sei am Bett etwas kaputt, und dann machte ich kehrt und lief hinaus. Aber ich brachte die Tür nicht zu, um ihn einzusperren, und er erwischte mich im zweiten Keller. Durch ein Schlüsselloch konnte ich Tageslicht sehen. Er denkt an alles. Er hält die Tür mit einem Vorhängeschloß offen. Es hatte sich gelohnt: ein Schlüsselloch voll Licht in sieben Tagen. Er rechnete damit, daß ich versuchen würde, rauszulaufen und ihn einzusperren.

Dann zeigte ich ihm drei Tage lang nur meinen Rücken und mein mißmutiges Gesicht. Ich hungerte. Ich schlief. Wenn ich sicher war, daß er nicht kommen würde, stand ich auf, tanzte ein bißchen herum, las in den Kunstbüchern und trank Wasser. Aber sein Essen rührte ich nicht an. Und ich brachte ihn dazu, seine Bedingungen zu nennen: sechs Wochen. Vor einer Woche wären mir sechs Stunden zuviel gewesen. Ich weinte. Handelte ihn auf vier Wochen herunter. Das Zusammensein mit ihm ist mir immer noch unverändert grauenvoll. Ich kenne jetzt jeden Quadratzentimeter dieser ekelhaften kleinen Gruft, sie schließt mich allmählich ein wie der Steinpanzer, in dem die Flußwürmer eingekapselt sind. Aber die vier Wochen scheinen nicht mehr so wichtig. Mir ist, als hätte ich keine Energie mehr, keinen Willen, ich leide sozusagen an totaler Verstopfung.

Minny, gestern ging ich mit ihm nach oben. Vor allem einmal: die frische Luft der Außenwelt! Sich endlich nicht mehr in diesem grauenvollen Raum von etwa 50 Kubikmetern zu befinden, unter dem Nachthimmel zu stehen und herrliche, herrliche, wenn auch feuchte und neblige, aber herrliche Luft zu atmen.
Ich dachte, ich könnte vielleicht laufen. Aber er packte mich am Arm, und ich wurde geknebelt und gefesselt. Es war so finster. So einsam. Keine Lichter. Nur Finsternis. Ich wußte nicht einmal, in welche Richtung ich hätte laufen können.
Das Haus ist ein altes Bauernhaus, wahrscheinlich ein Fachwerkhaus, innen sind viele Balken, alle Fußböden hängen durch, und die Decken sind sehr niedrig. Eigentlich ein wunderschönes altes Haus, aber im fürchterlichsten „guten Geschmack“ der Frauenzeitschriften eingerichtet. Schauerliche Farbzusammenstellung, ein Kunterbunt von Stilmöbeln, kleinbürgerlicher Krimskrams, falsche Antiquitäten, scheußliches Messing. Und die Bilder! Wenn ich sie dir in ihrer ganzen Scheußlichkeit schildern wollte, du würdest es nicht glauben. Er sagte mir, eine Firma hätte das ganze Mobiliar für ihn zusammengestellt und das Haus eingerichtet. Die müssen ihm all ihren Ramsch aufgehängt haben.

Das Bad war ein Genuß. Ich wußte, er konnte jeden Augenblick hereinplatzen (kein Schloß an der Tür, ich konnte sie nicht mal schließen). Aber irgendwie spürte ich, daß er´s nicht tun würde. Angesichts der Badewanne voll heißen Wassers in dem ordentlich gehaltenen Raum war mir eigentlich alles egal. Ich ließ ihn ewig warten. Vor der Tür. Ihn schien es nicht zu stören. Er war „brav“. Nichts stört ihn.
Aber ich weiß jetzt, wie ich eine Nachricht hinausschmuggeln kann. Ich könnte sie in einer kleinen Flasche ins Klo werfen und ziehen. Ich könnte ein grellfarbiges Band um den Flaschenhals binden. Vielleicht sieht irgend jemand sie dann eines Tages. Das nächste Mal tu´ ich das.
Ich horchte nach Straßenlärm, aber es rührte sich nichts dergleichen. Ich hörte eine Eule. Und ein Flugzeug. Wenn die Leute nur wüßten, über was sie da wegfliegen.



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