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Aus der Welt der Literatur



2012-12-31
Narziß und Goldmund (Hermann Hesse / Suhrkamp Verlag / ISBN 3-518-46356-7)

Die für eine Erzählung außergewöhnlich umfangreich angelegte Geschichte von „Narziß und Goldmund“ gehört zu den bekanntesten Werken Hesses und wurde erstmals 1930 veröffentlicht. Die Handlung spielt im Mittelalter. Zwei Jungen begegnen sich zufällig in einem Kloster, der eine bereits auf vorgezeichnetem Weg ins klösterliche Leben eingebunden, allem Weltlichen entsagend, der andere, der jüngere, noch hin- und hergerissen zwischen Enthaltsamkeit und Sinnenlust, zwischen den Freiheiten des bürgerlichen Daseins und der aufopferungsvollen, ausschließlichen Hinwendung zur religiösen Lebensführung hinter Klostermauern. Die Wege der beiden Freunde trennen sich für Jahrzehnte. Als sie wieder zusammentreffen, fast am Ende ihrer Tage, blicken sie gemeinsam auf ihre so unterschiedlichen Lebensläufe. Die nagenden Zweifel, ob der eigene Weg schließlich der bessere, der glücklichere war, vermag keiner von beiden auszuräumen.

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Textauszug:

Im Schein der winzigen Lampenflamme ließen sie sich nieder, auf kleine steife Stabellen die beiden Mädchen, rund um sie auf dem Boden die Schüler. Es wurde flüsternd gesprochen, dazwischen Most getrunken, Adolf und Konrad führten das Wort. Zuweilen stand einer auf und streichelte der Hageren das Haar und den Nacken, flüsterte ihr ins Ohr, die Kleine blieb unberührt. Wahrscheinlich, dachte Goldmund, war die Große die Magd, die hübsche Kleine die Tochter des Hauses. Es war übrigens gleichgültig, und es ging ihn nichts an; denn er würde niemals mehr hierherkommen. Das heimliche Ausreißen und der Nachtgang durch den Wald, das war schön, das war ungewohnt, erregend, geheimnisvoll und doch nicht gefährlich. Es war zwar verboten, aber die Übertretung des Verbots belud das Gewissen nicht schwer. Das hier aber, dieser nächtliche Besuch bei den Mädchen, war mehr als nur verboten, so fühlte er, es war Sünde. Für die andern vielleicht war auch dies nur ein kleiner Seitensprung, für ihn aber nicht; für ihn, der sich zum Mönchsleben und zur Askese bestimmt wußte, war kein Spiel mit Mädchen erlaubt. Nein, er würde nie wieder mitkommen. Aber sein Herz schlug stark und bang in der Ampeldämmerung der ärmlichen Küche.

Seine Kameraden spielten vor den Mädchen die Helden und machten sich mit lateinischen Redensarten wichtig, die sie in die Unterhaltung mischten. Alle drei schienen bei der Magd in Gunst zu stehen, sie näherten sich ihr je und je mit ihren kleinen, linkischen Liebkosungen, deren zärtlichste ein scheuer Kuß war. Sie schienen genau zu wissen, was ihnen hier erlaubt sei. Und da die ganze Unterhaltung im Flüsterton geführt werden mußte, hatte die Szene eigentlich etwas Komisches, doch Goldmund empfand nicht so. Er kauerte still am Boden und blickte starr ins Flämmlein der Ampel, ohne ein Wort von sich zu geben. Zuweilen fing er mit etwas begehrlichem Seitenblick eine der Zärtlichkeiten auf, die zwischen den andern getauscht wurden. Steif blickte er vor sich hin. Am liebsten aber hätte er nichts anderes angeschaut als die Kleine mit den Zöpfen, aber gerade dies verbot er sich. Immer aber, wenn einmal sein Wille nachließ und sein Blick sich zu dem stillen süßen Mädchengesicht hinüber verirrte, fand er unfehlbar ihre dunklen Augen auf sein Gesicht geheftet, wie verzaubert starrte sie ihn an.

Eine Stunde war vielleicht vergangen - nie hatte Goldmund eine so lange Stunde erlebt -, da waren Redensarten und Zärtlichkeiten der Schüler erschöpft, es wurde still, und man saß etwas verlegen, Eberhard fing an zu gähnen. Da mahnte die Magd zum Aufbruch. Alle erhoben sich, alle gaben der Magd die Hand, Goldmund zuletzt. Dann gaben sie alle der Jungen die Hand, Goldmund zuletzt. Dann stieg Konrad voran aus dem Fenster, ihm folgten Eberhard und Adolf. Als auch Goldmund hinausstieg, fühlte er sich von einer Hand an der Schulter zurückgehalten. Er konnte nicht anhalten; erst als er draußen am Boden stand, wandte er sich zögernd um. Aus dem Fenster beugte sich die Junge mit den Zöpfen.
„Goldmund!“ flüsterte sie. Er blieb stehen.
„Kommst du einmal wieder?“ fragte sie. Ihre schüchterne Stimme war nur ein Hauch.
Goldmund schüttelte den Kopf. Sie streckte ihre beiden Hände aus, faßte seinen Kopf, warm fühlte er die kleinen Hände an seinen Schläfen. Sie beugte sich tief herab, bis ihre dunklen Augen dicht vor den seinen waren.
„Komm wieder!“ flüsterte sie, und ihr Mund berührte den seinen in einem kindlichen Kuß.
Schnell lief er den andern nach durch den kleinen Garten, taumelte über die Beete, roch feuchte Erde und Mist, riß sich die Hand an einem Rosenstrauch wund, kletterte über den Zaun und trabte den andern nach zum Dorf hinaus, dem Wald entgegen. „Niemals mehr!“ sagte befehlend sein Wille. „Morgen wieder!“ flehte schluchzend sein Herz.
Niemand begegnete den Nachtvögeln, unbehelligt kamen sie nach Mariabronn zurück, über den Bach, durch die Mühle, über den Lindenplatz und auf Schleichwegen über Vordächer und durch säulengeteilte Fenster ins Kloster und in den Schlafsaal.



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