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Aus der Welt der Literatur



2003-07-19
Das Totenschiff (B. Traven; Rowohlt-Verlag)

Das bekannteste Werk dieses legendenumwitterten Autors, dessen wahre Identität bis zum heutigen Tag nicht endgültig geklärt werden konnte. Mit diesem Buch errang er Weltruhm.

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Textauszug:

Ich begann, an meinem Tau zu knoten. Aber ich bekam den Knoten nicht auf. Dann rief ich Stanislaw, er möge mir helfen, den Knoten aufzuziehen. Aber er hatte keine Zeit. Er wurde mit seinem Fuße nicht fertig und arbeitete wie toll, um den Fuß loszukriegen. Nun gehen auch noch die Wunden auf, die man ihm auf dem Kopfe geschlagen hatte. Das Blut sickert über sein Gesicht, aber er läßt sich nicht stören.
Und ich zerrte und zerrte an meinen Banden. Aber das Tau war zu dick. Ich konnte es nicht durchscheuern und konnte meine Glieder nicht herauswinden. Ich verstrickte mich immer mehr. Dann suchte ich nach der Axt, nach dem Messer und endlich nach der Schaufel, die wir glattgeklopft hatten, um einen hölzernen Mast draus zu machen, aber der Kompaß fiel immer wieder ins Wasser, und ich mußte ihn mit dem durchgebrannten Rost fischen. Das Tau gab nicht nach. Der Knoten zog sich immer fester. Das versetzte mich in namenlose Wut.
Stanislaw hatte seinen Fuß jetzt los.
Er dreht sich halb um nach mir und rief: "Komm rüber, Pippip. Sind nur zwanzig Schritte zu laufen. Die Roste sind alle raus, und es ist Wasserminute vor fünf. Aufstehen! Rasch auf! Raus! Asche hieven!"
Aber die Aschenhieve kreischte: "Da ist keine Yorikke! Da ist keine Yorikke! Da ist keine Yorikke!"
Ich klammerte mich an das Tau in furchtbarer Angst; denn die Yorikke war fort, und ich sah nur Meer, Meer, sah nichts als die gleichmäßigen Wogen der See. "Stasinkowslow, spring nicht!" Ich schrie es in namenloser Angst; denn ich konnte seinen Namen nicht finden, der mir aus der Hand gerutscht war.
"Stanislaw, nicht springen! Nicht springen! Nicht. Bleib hier!"
"Die holt den Anker ein. Ich gehe nicht auf ein Totenschiff. Ich renn rüber zur Yorikke. Renn, ich renne, renne. Rüber. Komm!"
Und er sprang. Er sprang. Da war kein Hafen. Da war kein Schiff. Da war kein Ufer. Alles See. Alles Wogen. Er tat nur ein paar patschende Schläge. Dann sank er für immer weg. Ich starrte rüber zu dem Loch, in das er gefallen war. Ich sah es in unendlich weiter Ferne. Und ich rief: "Stanislaw! Lawski! Bruder! Lieber, lieber Kamerad, komm hierher! Hoiho! Hoiho! Hierher! Hierher!"
Er hörte nicht. Er kam nicht. Er kam nicht mehr hoch. Er tauchte nicht mehr auf. Da war kein Totenschiff. Da war kein Hafen. Da war keine Yorikke. Er tauchte nicht mehr auf. No, Sir.
Und das war merkwürdig. Er tauchte nicht mehr auf, und ich konnte es nicht fassen, wie das zuging.
Er hatte angemustert für große Fahrt, für ganz große Fahrt. Aber wie konnte er nur mustern? Er hatte doch kein Seefahrtsbuch. Sie würden ihn gleich wieder runterfeuern.
Aber er kam nicht hoch. Der große Kapitän hatte ihn gemustert. Und treu hatte er ihn gemustert, auch ohne Papiere.
"Komm, Stanislaw Koslowski", sage der große Kapitän, "komm, ich muster dich treu und ehrlich für große Fahrt. Laß nur die Papiere. Brauchst keine bei mir. Fährst auf treuem und ehrlichem Schiff. Geh zum Quartier, Stanislaw. Kannst du lesen, was über der Tür steht?"

Und Stanislaw sagte: "Ja, Käpt´n -
Wer hier eingeht, ist ledig aller Qualen!"



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