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Aus der Welt der Literatur



2003-10-02
Die Närrin (Svetlana Vasilenko; Deutsche Verlags-Anstalt

Das Schicksal des stummen Mädchens, das - so hofft der Leser inbrünstig - um sich selbst nichts weiß, berührt in der schlichten Sprache der Autorin in einer eigentümlichen, bislang kaum erlebten Weise.

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Textauszug:

Quietsch nicht so!
Quietsch.
Quietsch nicht so!
Quietsch. Quietsch.
"Hab ich nicht gesagt, du sollst nicht so quietschen? Nadjka! Hörst du?"
Sie hört nicht. Sie hört überhaupt gar nichts. Sie ist taub, vollkommen taub, kein Tönchen hört sie, eine taube Nuß. Aber Nadjka lächelt mich mit ihrem sonderbaren Lächeln von unten herauf an, als hätte sie mich gehört, aber nicht verstanden, was ich da gesagt hatte, mit dem Gesicht hilft sie dem Körper, die Schaukel anzuschubsen, in Schwung zu halten, und kommt näher zu mir hinauf .... um meine Worte zu verstehen - und fliegt immer höher und höher auf. Sie fliegt fast bis zu mir heran, mit der Hand kann ich ihr Gesicht berühren. Und ich beschließe etwas.
Ich lege mich aufs Dach, mit dem Bauch auf den kühlen Schiefer, mit dem Gesicht zu Nadjka.
"Höher", sage ich zu ihr, "höher, Nadjka!"
Und als ihr Gesicht, vor Glück hochrot, mit den stumpfen weitaufgerissenen Augen, von der Erde emporfliegt und sich mit schrecklicher Schnelligkeit meinem nähert, sage ich:
"Nadjka", sage ich, "woher bist du gekommen, woher bist du auf dem Wasser zu uns gekommen? Warum? Wir haben doch vorher ohne dich gelebt, woher kommst du, Nakjka?"
Eine Sekunde lang verharrt ihr verwirrtes Gesicht neben meinem.
Ich schau ihr in die Augen, nah, ganz nah.
Ich hab sie angeschaut: Nadjka!
Sie schweigt, aber ich habe gehört, wie sie in ihrem Schweigen gesagt hat:
"Ich bin Hanna."
Die Schaukel quietschte. Rauf-runter. Immer lauter quietschte sie.



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