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Aus der Welt der Literatur



2003-10-15
Zwei alte Frauen (Velma Wallis; Heyne)

Eine verheerende Hungersnot kommt über einen Nomadenstamm in arktischer Weite. Damit die Jüngeren überleben, werden nach einem unmenschlichen Brauch zwei alte Frauen verstoßen und ihrem Schicksal überlassen.

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Textauszug:

An diesem Tag lag etwas Schwereres als nur die Kälte in der Luft, während das Volk um die wenigen flackernden Feuer versammelt war und dem Häuptling zuhörte. Er war ein Mann, der die anderen fast um Haupteslänge überragte. Tief in seine pelzbesetzte Jacke eingemummt, sprach er von den harten, kalten Tagen, die sie erwarteten und davon, daß jeder das Seine beitragen müsse, damit sie den Winter überlebten.
Dann machte er plötzlich mit lauter, deutlicher Stimme eine Ankündigung: "Der Rat und ich sind zu einer Entscheidung gelangt." Der Häuptling machte eine Pause, als habe er Mühe, die folgenden Worte auszusprechen. "Wir werden die Alten zurücklassen müssen."
Mit einem schnellen, prüfenden Blick suchte er nach einer Reaktion in der Menge. Doch Hunger und Kälte hatten ihren Tribut gefordert, und das Volk schien nicht entsetzt zu sein. Viele hatten erwartet, daß es geschehen würde, und manche hielten es für das beste. In jenen Tagen war es nicht unüblich, die Alten in Hungerszeiten zurückzulassen, obwohl es in dieser Gruppe zum ersten Mal geschah. Die Kargheit dieses urwüchsigen Landes schien danach zu verlangen. Um zu überleben, waren die Menschen gezwungen, sich in mancherlei Weise wie Tiere zu verhalten. Ähnlich jungen, kräftigen Wölfen, die sich vom alten Führer des Rudels absetzen, so pflegten die Menschen ihre Alten zurückzulassen, um sich ohne jene Extrabelastung schneller bewegen zu können.



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