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Aus der Welt der Literatur



2004-05-12
Das Orangenmädchen (Jostein Gaarder; Carl Hanser Verlag; ISBN 3-446-20344-3)

Ein Mädchen hält eine Orangentüte in der schlingernden Trambahn an sich gepreßt, der Junge in ihrer Nähe versucht sie, die bedrohlich in´s Wanken gerät, vor dem Sturz zu bewahren, umfaßt sie, die Tüte birst, die Orangen ergießen sich über den Boden und rollen den umstehenden Fahrgästen um die Füße...kurz darauf ist das Mädchen spurlos verschwunden. Spurlos? Fortan begibt sich der Junge auf die schier endlose Suche nach der Geheimnisvollen. Eine mystisch anmutende Begebenheit nimmt ihren Lauf, die Anfang und Erklärung wie gleichermaßen auch Tröstliches birgt für den Heranwachsenden, dem sich auf eine wundervolle, einzigartige Weise das Rätsel seines jungen Lebens offenbart. Dieses Buch ist wahrhaftige Literatur, hat Größe, hat Stil. Nach den Gesetzmäßigkeiten des Büchermarktes sucht man es indes in den gängigen Bestenlisten vergeblich.

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Textauszug:

Als ich bis hierhin gelesen hatte, klopfte Mama wieder an die Tür. Sie sagte: "Es ist halb elf, Georg. Wir haben den Tisch gedeckt. Hast du noch viel zu lesen?"
Ich sagte ein wenig feierlich: "Liebes kleines Orangenmädchen. Ich denke an dich. Kannst du noch ein wenig warten?"
Ich konnte sie durch die Tür ja nicht sehen. Aber ich hörte, wie sie verstummte.
Ich sagte: "Ab und zu müssen wir es im Leben einfach schaffen, uns ein wenig zu sehnen."
Als keine Antwort kam, fügte ich hinzu: "Ist hier wohl ein kleiner Mann..."
Auf der anderen Seite der Tür herrschte noch immer tiefes Schweigen. Aber dann hörte ich, wie Mama sich gegen das Holz preßte. Sie sang mit leiser Stimme gegen den Türrahmen: "...der mit kleinen Frauen spielen kann..."
Mehr konnte sie aber nicht mehr singen, denn jetzt mußte sie weinen. Sie weinte und flüsterte.
Ich flüsterte zurück: "Dann spielen sie am Ende gleich in ihrem kleinen Traumesreich..."
Sie atmete schwer und sagte dann schniefend: "Schreibt er wirklich ...darüber?"
"Er hat geschrieben", sagte ich.
Dazu sagte sie nichts, aber ich konnte der Türklinke ansehen, daß sie noch draußen stand.
"Ich komme gleich, Mama", flüsterte ich. "Ich habe nur noch fünfzehn Seiten."
Auch jetzt schwieg sie. Vielleicht brachte sie kein Wort heraus.



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